Endoskopische Praxis am Tegeler See
PD Dr. med. Jürgen Bauditz
Eisenhammerweg 20, 13507 Berlin
Ernährung und gesunde Lebensführung
Was gesunde Lebensführung betrifft, ist Ihnen bereits alles Wesentliche bekannt. Niemand bezweifelt ernsthaft, dass es gesund ist, Normalgewicht zu erzielen, sich regelmäßig körperlich zu bewegen, nicht zu rauchen und nicht zu viel Alkohol zu trinken.
Anders verhält es sich mit der Ernährung. Zunächst wurde Ihnen empfohlen, nicht zu fett zu essen, dann, nicht zu viel Süßes zu essen. Der eigentlich chemische Begriff Kohlenhydrat hat Eingang in unsere Alltagssprache gefunden. Wenn Sie also wenig Fett und wenig Süßes oder Kohlenhydrate essen sollen, bleibt nur noch Eiweiß als Hauptnahrungsquelle übrig, das kann jedoch – da sind sich auch fast alle Ernährungswissenschaftler einig – nicht die Lösung sein.
Durch weitere Ernährungsempfehlungen wie vegetarische, vegane Kost oder Fokussierung auf einzelne scheinbar sehr gesunde oder ungesunde einzelne Nahrungsmittel wurde die Situation komplizierter. Heute ist Essen zu einem Gegenstand vieler Diskussionen geworden, die Zahl verschiedenster Empfehlungen ist endlos. Für manche ist Ernährung geradezu eine Art von Religionsersatz geworden.
Es ist jedoch zu beachten, dass die Ernährungswissenschaft eine noch junge Wissenschaft ist und viele Behauptungen eigentlich Vermutungen sind. Epidemiologische Ernährungsstudien sind aufgrund zahlreicher Variablen unterschiedlichen Lebensstils grundsätzlich schwierig zu interpretieren, experimentelle Studien weisen oft methodische Mängel auf. Glauben Sie nicht alles, was Sie in Büchern, Zeitungsartikeln oder im Internet lesen. Eine oder wenige Studien sind noch kein Beweis.
Gesunde Ernährung: Fettarm oder Zuckerarm?
Die in den 1970er Jahren in den USA entstandene Ernährungsempfehlung, den Fettgehalt in der Nahrung zugunsten von Kohlenhydraten und Zucker zu reduzieren, beruht u.a. auf der berühmten 7-Länderstudie der Harvard Universität, die heute jedoch als methodisch höchst mangelhaft betrachtet wird.
Aufgrund offizieller Empfehlungen für eine fettarme Ernährung begann die Nahrungsmittelindustrie den Fettgehalt von Nahrungsmitteln zu reduzieren und hat stattdessen den Zuckeranteil in vielen Nahrungsmitteln erhöht. Zucker ist als Rohstoff billig, angenehm im Geschmack und wirkt geschmacksverstärkend.
Parallel wurde Nahrung in westlichen Industrienationen immer preiswerter, auch die Einzelportionen und Verpackungseinheiten wurden zunehmend größer, Beispiele hierfür sind Coca-Cola-Flaschen, Süßigkeitenverpackungen (kauft jemand heute noch einzelne Schokoriegel?) und die Menüs von Fast Food Ketten.
Beides zusammen hat zu einer in der Menschheitsgeschichte beispiellosen Epidemie an Übergewicht und massenhaftem Auftreten von Zuckerkrankheit geführt. Während es in Deutschland 1945 etwa 100.000 Diabetiker gab, liegt die Zahl von Zuckerkranken heute bei 8-10 Millionen. Tatsächlich handelt es sich um ein weltweit zunehmendes Phänomen, z.B. wird die Zahl der Typ II Diabetiker in Indien auf 115 Millionen geschätzt!
Parallel entstand eine Schlankheitsindustrie, nach erfolgreichen Diäten kommt es fast immer zum berühmten Jo-Jo-Effekt, da diejenigen ihre Diät nicht als langfristig befriedigend und sättigend empfinden.
Gegen eine kohlenhydratreiche Ernährung ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Es existiert auch nicht die eine einzige gesunde Ernährungsweise. Weltweit sind über Jahrhunderte zahlreiche traditionelle Ernährungsarten entstanden, die grundsätzlich als gesund zu betrachten sind. Die einzige Ernährung, von der die Ernährungswissenschaft mit Sicherheit weiß, dass sie ungesund ist, ist die moderne westliche Ernährung.
Der Hauptgrund dafür ist, dass sie zu viel Zucker und andere, schnell vom Körper aufgenommene Kohlenhydrate enthält. Zucker ist heute ein so selbstverständlicher Bestandteil unserer Ernährung, dass manche glauben, der menschliche Körper benötige Zucker zur Ernährung. Tatsächlich jedoch ist Zucker in größeren Mengen ein in der Menschheitsgeschichte sehr neuer Nahrungsbestandteil.
18. Jahrhundert: Industrieller Zucker kommt nach Europa
Unter den ersten Europäern, die sich Zucker leisten konnten, war der französische Adel im 18. Jahrhundert vor der französischen Revolution. Der Zucker stammte aus den Kolonien, war jedoch ein Luxusartikel. Die Folge war, dass noch nie eine Gruppe von Menschen so schlechte Zähne hatte wie der europäische Adel dieser Zeit. Konsequenterweise wurde die Zahnbürste einige Jahrzehnte später in Paris erfunden.
Ein Kunstskandal im damaligen Paris wirft ein erhellendes Schlaglicht auf die damaligen Zustände. Ein Kunstmaler wagte es, eine Dame der vornehmen Gesellschaft mit einem Lächeln zu porträtieren, dass ihre makellosen Schneidezähne zeigte. Da der überwiegende Teil der vornehmen Gesellschaft unter verfaulenden Zähnen litt, stellte das Abbilden gesunder Zähne bereits einen Skandal dar, nachzulesen in „Colin Jones: Die Revolution des Lächelns“
Ein „skandalöses“ Lächeln
Zucker verändert das Essverhalten
Ein hoher Anteil an Zucker in der Nahrung verändert die Appetitregulation und das Hungergefühl. Eine Mahlzeit, die reich an Zucker oder Stärke (Weißmehlprodukte / Kartoffeln) ist, führt zu einer starken Insulinausschüttung. Nachdem der Zucker verarbeitet worden ist, führt verbliebenes Insulin nach einiger Zeit jedoch erneut zu Hunger und dem Wunsch nach einer Zwischenmahlzeit, um den Zuckerspiegel im Blut erneut ansteigen zu lassen.
Sie müssen also erneut essen, um Ihr Insulin zu „verbrauchen“. Es existieren Tumore, die sog. Insulinome, die ständig unreguliert Insulin produzieren. Patienten, die an dieser sehr seltenen Tumorerkrankung leiden, fallen durch eine starke Gewichtszunahme auf, da sie ständig an Heißhungerattacken leiden und essen müssen. Jemand, der gewohnt ist, mehrmals am Tag größere Mengen Zucker zu essen, trainiert seinen Körper ebenfalls auf permanent hohe Insulinspiegel, die wiederum ein ständig wiederkehrendes Hungergefühl aufrechterhalten.
Da Insulin auch den Fettabbau unterdrückt und die Einlagerung von Fett in die Fettzellen fördert, fördern hohe Insulinspiegel über einen weiteren Mechanismus eine Gewichtszunahme. Auch in der Tierhaltung, namentlich in der Schweinemast, wurde Insulin erfolgreich verwendet, um die Tiere zügig fett werden zu lassen.
Nehmen Sie hingegen Fett, Eiweiß oder Kohlenhydrate, die im Körper nur langsam freigesetzt werden (z.B. in Vollkornprodukten) zu sich, kommt es zu einer nur geringen Insulinausschüttung und Heißhungerattacken bleiben aus. Bei einer Ernährungsumstellung benötigt der Körper jedoch einige Wochen, um sich umzugewöhnen.
Fructose und Fettleber
Üblicher Zucker bzw. „Haushaltszucker“ ist ein Glucose-Fructose-Doppelmolekül, das im Körper aufgespalten wird. „Haushaltszucker“ besteht daher zu 50% aus Glucose, dem sog. Traubenzucker, der durch Insulin verarbeitet wird. Die anderen 50% sind Fructose, sog. Fruchtzucker. Glucosesirup besteht häufig zu mehr als 50% aus Fructose.
Glucose wird durch Insulin zu Fett umgewandelt und in Fettzellen gespeichert. Da Menschen in ihrer gesamten Evolutionsgeschichte nur wenig Fructose konsumiert haben, existiert im menschlichen Körper jedoch kein vergleichbares Stoffwechselsystem für Fructose. Die Folge ist, dass Fructose noch in der Leber zu Fett umgewandelt wird, was einerseits zu einer Leberverfettung und andererseits zu erhöhten Spiegeln schlechten Cholesterins im Blut führt. Fructose ist damit als besonders schädlicher Zuckerbestandteil zu betrachten.
Fructoseintoleranz ist eine äußerst seltene Krankheit, bei der die Betroffenen aufgrund eines angeborenen Enzymmangels von Geburt an überhaupt keine Fructose vertragen. Menschen mit angeborener Fructoseintoleranz haben typischerweise auch im höheren Alter völlig gesunde Zähne ohne Karies oder Zahnfüllungen.
Die heute häufiger diagnostizierte Fructose-Unverträglichkeit ist insofern weniger als Krankheit, sondern eher als Normvariante und Symptom unserer modernen zuckerreichen Ernährung zu betrachten. Auch die Lactoseintoleranz ist keine Krankheit, sondern lediglich eine nachlassende Aktivität des Enzyms Lactase in der Darmwand. Bei 90 % der Weltbevölkerung nimmt die Lactase-Aktivität im Erwachsenenalter ab, lediglich in Nordeuropa und Nordamerika ist unser Organismus durch die Milchwirtschaft als Bestandteil unserer Kultur so an Kuhmilch gewöhnt, dass die Lactase-Aktivität zumeist erhalten bleibt.
Mehr Fett wagen
Bei Ernährungsempfehlungen existieren noch immer 2 Schulmeinungen, solche, die fettarmes Essen befürworten und diejenigen, die überzeugt sind, dass primär zuckerarme Ernährung zu empfehlen ist. Heute ist bekannt, dass die verschiedenen Arten von Blutcholesterin differenzierter zu betrachten sind und Zucker eine wichtige Ursache für erhöhte Cholesterinspiegel ist. Die deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin hat neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechend vor einigen Jahren erstmals ihre Ernährungsempfehlungen hinsichtlich eines höheren empfohlenen täglichen Fettkonsums geändert.
Eine vollständig zuckerfreie Kost ist nicht erforderlich, jedoch sollte Zucker in viel größerem Maße als bisher als etwas Besonderes auf dem Speiseplan betrachtet werden. Fett wiederum halte ich persönlich für unbedingt nötig, um ein länger anhaltendes Sättigungsgefühl zu erzielen und nach einer Gewichtsabnahme Jo-Jo-Effekte zu vermeiden. Pflanzliche Fette sind besonders günstig, ebenso Fischöl, jedoch besteht medizinisch keine Notwendigkeit, völlig auf tierische Fette zu verzichten.
Diejenigen, die jetzt frohlocken, dass sie abendlich Ihren Rotwein mit Käse genießen können, muss ich jedoch leider darauf hinweisen, dass Alkohol ernährungsphysiologisch ähnlich wie Zucker zu betrachten ist – und eben auch als etwas Besonderes auf dem Speiseplan behandelt werden sollte.
Weiterführende Bücher und Videos zu Ernährung
Wenn Sie sich für das Thema interessieren, hier einige empfehlenswerte Bücher und Filme zum weiteren Studium:
1. Michael Pollan: Essen Sie nichts, was Ihre Großmutter nicht als Essen erkannt hätte.
Hier handelt es sich um eine kurz gefasste Sammlung einfacher Empfehlungen, die Sie inspirieren können, über gutes Essen nachzudenken.
Das wichtigste, was Sie über Ernährung im Allgemeinen wissen sollten, ist im kurzen, jedoch sehr informativen Vorwort dieses sympathischen Buches prägnant zusammenfasst.
Da Essen auch etwas Emotionales ist: Kaufen Sie bitte die Ausgabe mit Abbildungen. Auch finde ich, der lokale Buchhandel sollte unterstützt werden.
2. Bas Kast: Der Ernährungskompass.
Ausführlich, zum Vertiefen. Der Autor fasst viele wichtige Kenntnisse über Ernährung im Wesentlichen zutreffend zusammen und gibt sinnvolle Ernährungsempfehlungen.
Meiner Meinung nach muss man dem Autor nicht in jedem Detail folgen, die Empfehlungen sind jedoch grundsätzlich zutreffend.
3. Robert H. Lustig: Sugar – The bitter truth
Robert Lustig ist ein sehr engagierter und sympathischer Kinderarzt aus Kalifornien, der seit langem stark übergewichtige Kinder behandelt und es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Gesellschaft über den schädlichen Einfluss unserer modernen Ernährung aufzuklären.
Es existieren verschiedene Vorträge von Dr. Lustig auf YouTube, die sehr informativ sind. Diese bereits etwas ältere Vorlesung ist hervorragend und beinhaltet eigentlich alles, was Sie wissen sollten. Der Vortrag ist auf englisch, jedoch mit deutschen Untertiteln.
In deutscher Sprache gibt es auch Sachbücher von Robert Lustig, auf Englisch ebenfalls ein Kochbuch.